60 Jahre VVN Niedersachsen
Der Kampf um die Neuordnung Deutschlands und die Gründung der VVN
Der Interzonalen Länderkonferenz im März 1947, auf der beschlossen wurde, eine gemeinsame Organisation der Verfolgten zu konstituieren, waren Gründungen örtlicher und regionaler Komitees und Organisationen befreiter Häftlinge vorausgegangen. Zunächst stand die Organisierung einer Selbsthilfe zur Versorgung mit den nötigsten Grundbedürfnissen im Mittelpunkt. "Der „Ausschuß ehemaliger Konzentrations-Häftlinge Hannover”, kurz KZ-Ausschuß genannt, gründete sich bereits Ende April 1945." Die Forderung nach Anerkennung eines besonderen Rechtsanspruchs auf Unterstützung stieß oft auf „erhebliche Widerstände” bei den Behörden aber auch bei derbritischen Besatzungsmacht.
"Auch in dem Bestreben, durch die Erinnerung an das Ausmaß des faschistischen Terrors und der Verfolgung öffentlich im Sinne einer antifaschistischen Traditionspflege zu wirken, stieß der KZ-Ausschuss bereits im September 1945 auf Widerstand. Aus Furcht vor einer „Anti-Nazikundgebung” (!) erteilte die britische Militärregierung dem Antrag auf Durchführung eines Trauerumzuges mit Fahnen und Musikkapelle zur feierlichen Bestattung von etwa 50 im Lager Mühlenberg ermordeten Häftlingen eine Abfuhr."
Schon früh zeigte sich also der enge Zusammenhang zwischen dem Kampf um Entschädigung und einer Politik zur aktiven Überwindung des Nazismus:
"Bereits 1945 nahmen die regionalen Betreuungsstellen auf zonaler wie interzonaler Ebene Kontakte untereinander auf und tauschten Arbeitsergebnisse aus. Der Prozeß der Vereinigung bzw. des überregionalen Zusammenschlußes als VVN wurde von denjenigen vorangetrieben, die über die Sicherstellung einer angemessenen materiellen Versorgung und Entschädigung hinaus weitergehende politische Forderungen entwickelten."
Von dem Zonensekretariat der britischen Zone in Hamburg gingen "wesentliche Impulse zum Aufbau einer VVN-Organisation in Niedersachsen aus". Nach dem Zusammenschluss der Orts- und Kreisverbände im Land Oldenburg und in den Regierungsbezirken Aurich und Stade Ende 1946 zu einer Bezirksgruppe Nord-West fand am 28. Februar 1947 die Gründungsversammlung der Landesorganisation im Speisesaal der Hanomag in Hannover statt. Die endgültige Konstituierung erfolgte dann auf der Delegiertenversammlung am 21./22. Juni. Hans HAHNE (SPD), Landtagsabgeordneter aus Bochum, betonte dabei als Hauptredner:
"Wir führen unseren Kampf nicht um ein Butterbrot, sondern aus innerer politischer Erkenntnis, deshalb können und dürfen wir nicht bei der Betreuung halt machen. Wir werden uns nicht die Rolle einer Wohlfahrtsorganisation zuschieben lassen, vielmehr muß es unsere Aufgabe sein, die antifaschistischen Kämpfer in das wirtschaftliche, politische und kulturelle Geschehen einzuschalten." (Hannoversche Volksstimme, Nr. 48, 24.06.1947)
Eine herausragende öffentliche Aktivität in dieser Zeit war eine zweitägige Veranstaltung zum Thema "Humanität oder Antisemitismus" im November 1947 in Bad Pyrmont unter maßgeblicher Beteiligung von Probst GRUEBER (Berlin) von der bekennenden Kirche, Pater Kurt DEHNE, ehemaliger Dachau-Häftling und führender Repräsentant der VVN Niedersachsen, Dr. van DAM von der Jewish Relief Unit und dem Hamburger Senator und Experten für Entschädigungsfragen Franz HEITGRES (KPD). Im September 1947 hatte in Hannover eine öffentliche Gedenkfeier zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus stattgefunden.
In solchen Aktivitäten spiegelt sich die gesellschaftliche und politische Breite des damaligen antifaschistischen Grundkonsenses. Sie wird auch daran deutlich, dass viele Widerstandskämpfer und ehemals Verfolgte öffentliche Ämter und parlamentarische Mandate bekleideten. Dies geschah naturgemäß zunächst auf Berufung durch die Besatzungsmacht, später aber auch durch Wahlen auf den verschiedenen Ebenen.