60 Jahre VVN Niedersachsen
Geschichtsarbeit und Gedenkstätten
Zu den vornehmsten Aufgaben der VVN gehörte von Anfang an die Aufklärung über die Verbrechen des Faschismus und die dafür Verantwortlichen. Gleichzeitig galt es, die Geschichte der Widerstandsbewegung in Europa wach zu halten.
Im Verlauf des “Kalten Krieges” wurden dem zunehmend Hindernisse in den Weg gestellt. Mit der Gleichsetzung des “Nationalsozialismus” mit dem Kommunismus in der “Totalitarismustheorie” versuchten die "herrschenden Kreise ..., ihre Schuld und ihren direkten Anteil am Aufstieg des Faschismus zu verschleiern", seine Ursachen "auf die Psyche Hitlers abzuwälzen und zugleich ein ideologisches Abwehrsystem gegen Forderungen nach Demokratie zu errichten."
Insbesondere die Lehrpläne und die Geschichtsbücher wurden nach diesem Schema festgelegt. Die VVN setzte sich mit dieser Entwicklung intensiv und detailliert auseinander. Dabei musste sie 1966 u. A. die Feststellung treffen, dass der "Widerstand der Arbeiterbewegung, der schon vor 1933 begann und wirksam war, ... in den Lehrbüchern keinen Platz (findet) ... Unsere Schulen leiden nicht nur unter einem materiellen Notstand, sie leiden auch unter einem politischen Notstand."
Die Vereinigung ergriff zahlreiche Initiativen, um dem herrschenden Geschichtsbild die historischen Tatsachen entgegen zu stellen. Das von ihr vorgelegte Material fand in Kreisen der Wissenschaft und der Schulbuchverlage durchaus Beachtung, das niedersächsische Kultusministerium erklärte sich jedoch für unzuständig, so dass keine grundsätzliche Revision erfolgte. Schulbuchautoren, so wurde immer wieder eingewandt, könnten die vorhandenen Schulbücher nur revidieren, wenn Wissenschaftler die vorhandenen Dokumente in Zusammenarbeit mit den Widerstandskämpfer/innen erforschen und aufarbeiten würden. Die Kultusministerien der Länder sahen sich jedoch nicht in der Lage, solche Gremien zu finanzieren.
An den Schulen stieß das Thema jedoch auf wachsendes Interesse. Hanna ELLING berichtet:
"Das Ratsgymnasium Hannover lud Widerstandskämpfer ein, vor dem politischen Arbeitskreis der Schüler zu sprechen. Die Kameraden August Baumgarte und Pfarrer Ferdinand Hellmich führten ein Diskussionsgespräch vor 40 Schülern und sieben Lehrern. Inzwischen besuchten in den folgenden Jahren bis heute viele Widerstandskämpfer/innen Schulklassen und Jugendorganisationen und berichteten über ihre Erfahrungen und Erlebnisse." (s. "40 Jahre" S. 22)
In den folgenden Jahren gewannen solche Gespräche mit Zeitzeugen immer mehr an Bedeutung. In Schulen, Freizeitheimen, Geschichtswerkstätten und auf antifaschistischen Stadtrundgängen waren unsere Kameradinnen und Kameraden unermüdlich aktiv. Gertrud SCHRÖTER, Herta DÜRRBECK, Grete HÖLL, Gerda BERND, Hermann WALLBAUM und Paul WUNDER seien hier nur genannt. Als Referenten bei Bildungsveranstaltungen und Seminaren ihrer Gewerkschaften waren Fritz MAIWALD, Käte BRENNER, Kurt und Emmi BAUMGARTE, Herta DÜRRBECK und Gertrud SCHRÖTER oft im Einsatz.
1970 begann die Geschichtskommission Niedersachsen in Zusammenarbeit mit dem “Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des deutschen Widerstands 1933-1945 e.V.” mit der Vorbereitung der Ausstellung “Antifaschistischer Widerstand 1933-1945”. Sie wurde am 07.03.1971 unter Verantwortung des “Studienkreises” in Frankfurt eröffnet. Sie umfasste siebzig große Stelltafeln. Unter großen finanziellen Opfern und nach Überwindung zahlreicher organisatorischer Schwierigkeiten konnte sie vom 25. bis 26. Mai auch in Hannover gezeigt werden. Sie erfuhr bei den Besuchern und in der Öffentlichkeit große Resonanz. Auf ihrer Grundlage wurde eine ständige Wanderausstellung entwickelt, die laufend durch örtliches Material ergänzt wurde. So hat die Arbeit der Geschichtskommission "sicher dazu beigetragen, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit allen Demokraten im Sinne der Bewältigung der Vergangenheit und der Sicherung einer friedlichen Zukunft aufzuzeigen. (Hanna Elling, ebd. S. 23)
Von 1973 bis 1983 zählte die Ausstellung fast 70.000 Besucher, darunter fast 1.000 Schulklassen. Zu ihr wurde ein 32-seitiger Katalog erstellt. Neben den positivern Reaktionen blieben jedoch auch wütende Angriffe nicht aus. Selbst im Bericht des Verfassungsschutzes wurde sie erwähnt. (s. Werner Müller, ebd. S. 26) Eine wichtige Rolle spielte auch die Zusammenarbeit mit Gruppen von Widerstandskämpfern in anderen europäischen Ländern. Über Fritz MAIWALD gab es Kontakte nach Marienbad (CSSR) zum Gedenken an die Ermordung Theodor LESSINGs.
Es gab auch Kontakte nach Perpignan, der Partnerstadt Hannovers. Mit Dieppe gibt es seit den 80er-Jahren eine enge Verbindung. Sie bestand zunächst mit Hannover-Land als Partnerregion und verlagerte sich dann nach Braunschweig. Andere Beziehungen entwickelten sich über die Lagerkomitees. Schon in den 60er Jahren führte die VVN Niedersachsen an der Gedenkstätte Bergen-Belsen und Hörsten Veranstaltungen mit sowjetischen Kriegsveteranen durch, lange bevor dieses in Niedersachsen offiziell geschah. 1985 wurde das ehemalige Lager Bergen-Belsen durch Beschluss des Niedersächsischen Landtags zur zentralen Gedenkstätte erhoben. Bis da hin war das offizielle Interesse an dieser schrecklichen Hinterlassenschaft des Faschismus eher begrenzt. Gedenkveranstaltungen der VVN allerdings erfreuten sich intensiver amtlicher Beachtung: "Wenn unsere VVN - als DIE Verfolgtenorganisation - dort zu bestimmten Anlässen Gedenkfeiern abhielt, dann waren gewisse Herren vom Verfassungsschutz schon längst vor uns da. Sie erwarteten uns, nicht, um mit uns der Umgebrachten zu gedenken, sondern um die Teilnehmer wie Kriminelle im Bilde festzuhalten. Sehr oft hatten wir ausländische Delegationen dabei, ehemalige Gefangene dieses Todeslagers, die sich schon wieder von gewissen Deutschen verfolgt fühlten." (Gertrud Schröter, "40 Jahre", S. 33).
1966 wurde das “Dokumentenhaus”, das aber kaum geeignet war, das Informationsbedürfnis der Besucher zu befriedigen, erbaut. (Geschmackvoller Weise wurde es übrigens vom damaligen Bundespräsidenten Heinrich LÜBKE eröffnet, einem Mann mit notorischen Erfahrungen mit dem Bau von Lagerbaracken.)
Angesichts des mangelnden offiziellen Interesses an der Gedenkstätte wuchs der VVN immer mehr die Aufgabe zu, Besuchergruppen aus dem In- und Ausland durch das Lager zu führen und mit seiner Geschichte vertraut zu machen. 1985 gründete sich schließlich die Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen unter Mitwirkung der VVN/BdA. Sie unterbreitete der Landesregierung ein Konzept zur Erweiterung der Gedenkstätte und zur Überarbeitung der Ausstellung. Dies führte immerhin anlässlich des 40. Jahrestags der Befreiung des Lagers zu dem erwähnten Landtagsbeschluss. Jahrelang scheiterten die geplanten Maßnahmen jedoch vorgeblich an finanziellen Fragen. Auch heute noch ist das Verhältnis Landesregierung - Arbeitsgemeinschaft, aber auch das Verhältnis Arbeitsgemeinschaft - VVN/BdA in vielen Fragen ungeklärt. Zum Jahrestag der Befreiung des Lagers beteiligt sich die Vereinigung regelmäßig mit ihren traditionellen Fahnen an der offiziellen Gedenkfeier. Danach findet eine Gedenkstunde am Mahnmal in Bergen/Hörsten statt.
Auch andere Gedenkstätten gehen wesentlich auf die Initiative der VVN zurück, so besonders Esterwegen, Moringen, Salzgitter Jammertal und im Stahlwerk Salzgitter. Der größte Anteil lag bei August BAUMGARTE, Hanna ELLING, Irmgard PETRAS und Lotte MANNEL. In Peine bemühte sich Richard BRENNIG um die Gedenkstätte Herzberge. In Wolfsburg, Helmstedt und Braunschweig stand das Gedenken an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei VW im Mittelpunkt, im Kreis Osterode die Außenlager von Dora-Mittelbau. In Braunschweig fanden die Gedenkveranstaltungen frühzeitig in Zusammenarbeit mit der IG Metall statt.
Auch die hannoverschen Erinnerungsstätten Stöckener Friedhof, Varta-Gelände, Lager Mühlenberg und Lager Deurag-Nerag entstanden unter Mitwirkung der VVN/BdA.
Auf die Initiative der Kreisvereinigung Hannover wurde das Mahnmal am ehemaligen Standort des Gerichtsgefängnisses Hannover am Raschplatz errichtet. Als es nach langen Auseinandersetzungen eingeweiht wurde, sprachen OB Herbert SCHMALSTIEG und Herta DÜRRBECK. Jedes Jahr am Tag der Befreiung organisiert die VVN/BdA dort eine Gedenkveranstaltung.
Von besonderer Bedeutung für die Stadt und die Region Hannover ist Ahlem. Dort befand sich bis 1942 die Israelitische Gartenbauschule, die von der GeStaPo geschlossen und in eine Sammelstelle für die Deportation der Juden in die Vernichtungslager umgewandelt wurde. 1943 wurde dort ein "Polizeiersatzgefängnis" eingerichtet, in dem zahllose politische Gegner und Zwangsarbeiter terrorisiert wurden. Ab November 1944 wurde nach Ahlem eine Außenstelle des KZ Neuengamme verlegt. Ein großer Teil der Häftlinge endete, so weit er nicht den brutalen Arbeitsbedingungen zum Opfer fiel, auf dem Todesmarsch nach Bergen-Belsen oder bei den Erschießungen auf dem Seelhorster Friedhof. Etwa 200 kranke Häftlinge wurden am 10. April 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit. Von 1987 bis 1994 wurde dort von einer Bürgerinitiative ein Mahnmal errichtet. (vgl. Anschütz/Heike “Wir wollten Gefühle sichtbar werden lassen”. Bürger gestalten ein Mahnmal", Bremen 2004; dies. "Die Erschießungen auf dem Seelhorster Friedhof", Hannover 2005). Einen wichtigen Anstoß dazu gab unser Kamerad Kurt BAUMGARTE. Mehrfach, zuletzt im Juni 2004, wurden Überlebende und ein Amerikanischer Soldat, der an der Befreiung des Lagers beteiligt war, nach Hannover eingeladen. An der Betreuung der Gäste und den öffentlichen Veranstaltungen aus diesen Anlässen war die VVN/BdA beteiligt.