Mitteilungsblatt der VVN/BdA Niedersachsen

Zum vierten Mal Stolpersteine in Peine verlegt

Mit diesen 11 sind es jetzt insgesamt 49. Organisiert hatten die Aktion das Peiner Bündnis für Zivilcourage und Toleranz, die VVN — Bund derAntifaschistinnen und Antifaschisten, der DGB Peine und der Kreisheimatbund.

Der Kreisvorsitzende der VVN/BdA Peter Baumeister bedankte sich besonders bei dem Künstler Gunter Demnig und den zahlreichen Spenderinnen und Spendern, darunter die GEW und die IG Metall. Bürgermeister Kessler betonte: “Die Steine wirken und rütteln auf. Sie erinnern an Menschen, die wie wir friedlich in dieser Stadt gelebt und sich wohlgefühlt haben. Diese Menschen haben keinen Anlass gegeben, ihr Leben zu zerstören.”

Das Besondere: Schülerinnen und Schüler der Peiner Bodenstedt-/Wilhelmschule stellten die Biographien und die Bilder von drei Opfern dar, deren Stolpersteine auf dem Peiner Marktplatz verlegt wurden. Im Anschluss legten sie Rosen nieder und gedachten damit der Ermordeten.

Abschließend sagte der stellvertretende Vorsitzende des Kreisheimatbundes Dr. Jens Binner: “Die Stolpersteine regen dazu an, sich mit der Zeit des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Aber es geht nicht nur um die Opfer, sondern auch um die Täter und die Menschen, die schweigend zugesehen und nicht eingegriffen haben. Intoleranz und neofaschistischen Tendenzen darf kein Platz in unserer Gesellschaft eingeräumt werden.”

Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter Landrat Franz Einhaus und Bürgermeister Michael Kessler, waren im Januar d.J. beim Vortrag von Reinhard Koch zum Thema “Terrorismus von Rechts - ein neues Problem” in Peine anwesend. Der Referent leitet das Wolfsburger “Zentrum Demokratische Bildung” und die Braunschweiger “Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt”. Der DGB Peine und die IG Metall Salzgitter-Peine hatten eingeladen, unterstützt wurde die Veranstaltung u.a. von der SPD OV Peine, den Grünen, Linken und der VVN/BdA.

Peines DGB Vorsitzender Frank Raabe-Lindemann wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass die Gewerkschaften sich schon lange im Kampf gegen rechts engagieren. Er forderte ein Verbot der NPD und sagte: “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen”, und zeigte auf das gleichnamige Transparent.

Reinhard Koch wies nach, dass schon seit 1974 neonazistischer Terror ausgeführt wurde. Die Akteure fühlten sich “im Krieg gegen ein Scheißsystem”. 2010 gab es eine CD von “Gigi und den braunen Stadtmusikanten”, die ein Lied über die “Döner-Killer” verfassten. Alles am “Verfassungsschutz” vorbeigelaufen? Junge Leute kokettieren bei Facebook mit Waffen, sie spüren Kameradschaft, Freizeit, Konzert und Aktion. Sie fühlen sich zu einer Elite hingezogen, die durch Blutzugehörigkeit bestimmt wird. Reinhard Koch schockierte mit rechten Musiktexten, die von Gewaltaufforderungen nur so strotzten.

Er sagte, dass es wichtig sei, Demokratie an den Menschen zu bringen und positives Denken zu verbreiten. Es kommt darauf an, den Minimalkonsens bei den politisch Handelnden unter dem Stichwort “Wer ganz rechts ist, hat nur linke Nachbarn” auch in Peine in die Tat umzusetzen. Das bleibt die politische Aufgabe in den nächsten Monaten.

Peter Baumeister


15. Antifaschistische Sozialkonferenz

Die traditionelle Gemeinschaftsveranstaltung von gewerkschaftlichen Gliederungen und antifaschistischen Organisationen fand in diesem Jahr wieder im “Pavillon Hannover” zum vorgesehenen Termin statt: Am letzten Samstag im Januar zur Erinnerung an die Machtübergabe an die Nazipartei 1933 und die Befreiung von Auschwitz 1945.

Diesjähriges Thema war “In der Krise? Demokratie stärken gegen rechts”. Sylvia Milsch, Bildungsvereinigung Arbeit und Leben, berichtete zunächst wie es zu dieser Thematik gekommen war. Unter dem Eindruck des Massakers von Oslo im Sommer letzten Jahres wurde in der Vorbereitungsgruppe diskutiert, ob die Antwort auf solche Exzesse in der Stärkung demokratischer Institutionen und Bewegungen oder im Ausbau des staatlichen Überwachungs- und Repressionsapparats liegen müsse.

Das Einleitungsreferat bestritt Johannes Kiess von der Arbeitsgruppe zum Rechtsextremismus an der Universität Leipzig. Er berichtete über die Fragestellungen, Methoden, Analysen und Ergebnisse der jüngsten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (Decker, Weißmann, Kiess, Brähler: Die Mitte in der Krise, rechtsextreme Einstellungen in Deutschland). Im Gegensatz zum von der Totalitarismustheorie beeinflussten Extremismusbegriff, der die Extreme von rechts und links gegen die politische Mitte abgrenzt, stellte er bestimmte Kriterien dar, die auf rechtsextreme Einstellungen schließen lassen, die aber in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung bei den verschiedensten politischen Präferenzen und in unterschiedlichen sozialen Umfeldern und Schichten anzutreffen sind. Dazu zählte er Befürwortung von Diktaturen (“starken Männern”), Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung bzw. Leugnung der NS-Verbrechen. Analytisch bezieht sich die Studie auf den Begriff des autoritären Charakters, wie ihn die Frankfurter Schule entwickelt hatte. Sie vergleicht ihre Befunde mit ähnlichen Untersuchungen von 2002, 2006 und 2008 und kann so Entwicklungstendenzen ermitteln. Der repräsentative Vergleich der Befragungen von Ost- und Westdeutschen gibt dabei ein differenziertes Bild, das z.B. höhere Werte für Ausländerfeindlichkeit bei jenen, mehr Antisemitismus bei diesen zeigt, das bequeme Vorurteil, Rechtsextremismus sei besonders ein Problem im Osten, aber widerlegt.

Dem Referat schloss sich ein “Streitgespräch” zwischen Sebastian Wertmüller, Bezirksgeschäftsführer Ver.di Braunschweig, und Dietmar Schliff, Landesvorsitzender der GdP in Niedersachsen, an. Es wurde moderiert von Tom Seibert vom DGB Hannover und ging um die Frage “Demokratie, offene Gesellschaft oder Law-and-Order-Politik”. Neben den “berufsbedingten” Differenzen zwischen einem gewerkschaftlichen Interessenvertreter von Polizistinnen und Polizisten und einem ehemaligen DGB-Bezirksvorsitzenden, der seit Jahren als Organisator von Demonstrationen und Kundgebungen tätig ist, gab es dabei zwischen beiden auch ein hohes Maß an Übereinstimmung in Sachen Stärkung demokratischer Rechte!

In drei Arbeitsgruppen wurde anschließen weiter diskutiert.

Eine Arbeitsgruppe vertiefte die Ergebnisse des “Streitgesprächs” weiter.

Die Arbeitsgruppe “Auf dem rechten Auge blind?” befasste sich mit der Extremismusdiskussion in Deutschland. Über die Arbeitsgruppe “Nazi-Militanz und Strategien der Einschüchterung — Angstzonen und der Umgang damit am Beispiel Bückeburg” wird an geeigneter Stelle noch gesondert zu berichten sein.

Die VVN/BdA als Mitveranstalterin war wie immer mit einem Büchertisch vertreten und präsentierte die Ausstellung “Neofaschismus in Deutschland” der Bundesvereinigung.

Reinhold Weismann-Kieser


Sinti und Roma in Niedersachsen — Geschichte und Gegenwart

Drei Veranstaltungen zu diesem Thema fanden im Januar in Hannover statt

“Fremde im eigenen Land”

Am 26. Januar stellte der Verein für Geschichte und Leben der Sinti und Roma in Niedersachsen e.V. das Begleitbuch zu der Ausstellung “Fremde im eigenen Land — Sinti und Roma in Niedersachsen nach dem Holocaust” vor. Es dokumentiert das Schicksal der Überlebenden des Völkermords an den “Zigeunern” und ihren Kampf um Anerkennung als Opfer des Faschismus und um Entschädigung. Über diese Veranstaltung und den Inhalt des Buches wird an anderer Stelle dieser Ausgabe ausführlich berichtet.

Gipsy

Am Abend danach fand, ebenfalls im Historischen Museum Hannover, die Vorführung der vorläufigen Fassung des Films “Gipsy. Die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann” statt. Der Regisseur Eike Besuden schildert darin die Geschichte des Hannoveraner Sinti, seiner Familie und seine Karriere als Boxer, die ihn bis zum Deutschen Meister 1933 im Halbschwergewicht geführt hatte. Mit der “Gleichschaltung” des Boxverbands war ihm der Titel unter diskriminierenden und fadenscheinigen Gründen aberkannt worden. Sein Kampf um Rehabilitierung scheiterte, er wurde 1942 in das KZ Neuengamme verschleppt und kam 1943 oder 1944 unter nicht eindeutig geklärten Umständen in der Lagerhaft um.

Der Film ist als “Doku-Drama” gestaltet, d.h. er setzt sich aus Spielfilmszenen zusammen, die aus Dokumenten rekonstruiert wurden. Sie werden durch Zeitdokumente ergänzt. Es ist sogar gelungen, Originalaufnahmen von Trollmann im Boxring einzufügen. Der Film entstand mit Unterstützung des NDR. Nach Herstellung der Endfassung soll er zunächst in Filmtheatern gezeigt werden.

Selbsthilfe

In die Gegenwart der Sinti und Roma in Niedersachsen führte eine Veranstaltung in den Räumen der Katholischen Propstei St. Clemens in Hannover. Das “Forum für Sinti und Roma” sowie der Verein “Romane Aglonipe” hatten dorthin eingeladen, um ein gemeinsames Beratungsbüro einzuweihen. Dort sollen künftig Hausaufgabenhilfe, Sprachkurse, Bewerbungstraining, Familienbetreuung sowie Rechts- und Flüchtlingsberatung angeboten werden. Die katholische Kirche stellt die Räume mitsamt Büroeinrichtung vorerst mietfrei zur Verfügung. Nach der Begrüßung durch den gastgebenden Regionaldechanten sprach Rechtsanwalt Leonhard Oehle vom Forum für Sinti und Roma, der seit mehr als 20 Jahren für die Rechte beider Volksgruppen kämpft. Er wies besonders auf die Notwendigkeit der Beratungsarbeit angesichts der herrschenden Abschiebepraxis hin. Djevdet Berisa, von Romane Aglonipe betonte, dass die Roma seit dem 12. Jahrhundert zur europäischen Gemeinschaft gehören. Er sagte: “Ich fühle mich als Bürger dieses Landes.” Gleichwohl wies er darauf hin, dass in seiner früheren Heimat Jugoslawien “unter Tito” noch weitgehende Gleichberechtigung seiner Volksgruppe verwirklicht gewesen sei, die ihm eine Ausbildung zum Ingenieur ermöglicht habe. Eines der Hauptprobleme in Deutschland sei hingegen das Bildungsdefizit der etwa 500 Kinder aus Sinti- und Roma-Familien in Hannover. Das Angebot einer Hausaufgabenhilfe sei deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Beratungsstelle.

Reinhold Weismann-Kieser