Mitteilungsblatt der VVN/BdA Niedersachsen
Gedenkveranstaltung für Opfer der Deportationen
Als die Stadt Lüneburg an ermordeten Sinti und Roma verdiente
Am zweiten Sonntag im März erinnerte in Lüneburg eine Gedenkveranstaltung an die Verfolgung, die Deportation und die Ermordung der Lüneburger Sinti. Rund 60 Menschen nahmen an der Veranstaltung der Lüneburger Kreisvereinigung der VVN/BdA teil, die auf dem Gelände der Firma Sieb & Meyer stattfand.
Auf dem heutigen Areal der Firma befand sich früher ein Notunterkunfts-Lager, in dem die Lüneburger Sinti ab 1941 wohnen mussten, nachdem man ihnen verboten hatte, in ihren Wohnwagen im nördlichen Bereich der Goseburg zu verbleiben. In den Morgenstunden des 9. März 1943 wurden alle Sinti dort in ihren Wohnungen von einem größeren Aufgebot der Lüneburger Kriminalpolizei festgenommen, mit bereitstehenden Lastwagen oder Omnibussen nach Hamburg-Veddel in ein Auffanglager verbracht und von dort nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Das Hab und Gut, welches die Lüneburger Sinti zurücklassen mussten, wurde in der Stadt Lüneburg verwertet: es wurde öffentlich versteigert. Von dem Erlös dieser Versteigerungen ließ sich die Stadt Lüneburg die Miete für die Wohnungen der Sinti bis einschließlich Mitte Juli 1943 vergüten - für einen Zeitraum also, an dem die "Mieter" bereits alle im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau interniert und die Schwächsten unter ihnen bereits nicht mehr am Leben waren.
Nach einer Begrüßung durch den Kreissprecher der Lüneburger VVN/BdA, Olaf Meyer, hielt die Landtagsabgeordnete Andrea Schröder-Ehlers (SPD) eine Ansprache, in der sie auch die Grüße des Lüneburger Oberbürgermeisters übermittelte. Im Anschluss daran schilderten Peter Asmussen und Johannes Schmidt von der Geschichts-AG der VVN/BdA die Situation der Lüneburger Sinti, die Stationen der Verfolgung und die Deportation.
Niemand und nichts ist vergessen - unter diesem Motto stand die Veranstaltung. Ein Motto, das wohl eher eine Hoffnung und die Arbeitsgrundlage der VVN/BdA beschreibt, als die gesamtgesellschaftliche Realität. Die Opfer des deutschen Faschismus sind oft vergessen worden und nur noch selten wird an sie gedacht. Besonders davon betroffen sind die Roma und Sinti. Zum einen liegt dies daran, dass es eine jahrhundertlange Tradition der Verfolgung und Ausgrenzung von den "Zigeunern" nicht nur in Deutschland gibt.
Diese Verfolgung und Ausgrenzung gipfelte dann in der massenhaften Ermordung in den deutschen Vernichtungslagern durch die Nazis. Insgesamt fielen ca. 500.000 Sinti und Roma ihrem Rassenwahn zum Opfer. Doch auch heute werden Sinti und Roma ausgegrenzt und sind von rassistischen Übergriffen betroffen.
Olaf Meyer betonte in seiner Ansprache, "dass die Veranstaltung nicht nur Blick zurück sein soll, sondern auch eine Aufforderung an alle, heute jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Faschismus zu bekämpfen. Denn die Opfer des deutschen Faschismus verpflichten uns dazu."
Hunger und Kälte quälten die Gefangenen
Gedenkfeier auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in Hörsten
Aus Anlass der Befreiung des KZ Bergen-Belsen und der sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Stalag XI C lud die VVN/BdA Niedersachsen zu einer stark beachteten Gedenkfeier am 13. April auf dem Sowjetischen Kriegsgefangenenfriedhof in Hörsten ein.
Es war gelungen, Kontakt zu einem der wenigen noch Überlebenden in Moskau zu knüpfen. So sprach als wichtigster Gast der fast 86-jährige Mark Tilewitsch zu den Anwesenden. Eigentlich hatte er vermittelt, er rede nicht gerne, weil die Anwesenden meist nicht richtig zuhören. Aber dann quoll es aus ihm heraus - die kleine Orientierungshilfe in Form eines winzigen Zettels vernachlässigte er immer wieder.
Mit 18 Jahren war er in die Rote Armee einberufen worden, schon mit 19 Jahren wurde er in Litauen verwundet und gefangen genommen, von dort in das Stalag nach Wietzendorf verschleppt. Darauf folgten Fluchtversuch und erneute Gefangennahme, insgesamt dreimal floh er aus Arbeitslager, Stammlager und Arbeitskommando, wurde immer wieder gefasst, bis er zum Schluss ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurde. Heute ist er Vizepräsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees und des russischen Verbandes ehemaliger KZ-Häftlinge.
Über 20.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden in Hörsten menschenunwürdigen Bedingungen unterworfen und dann ermordet. Ab 1940 bestand das Stalag in Hörsten, in dessen Nähe ab 1943 das KZ Bergen-Belsen errichtet wurde. Die erste Maßnahme der Wehrmacht bestand darin, um die Kriegsgefangenen Stacheldraht zu ziehen, Wachtürme aufzustellen und - wie Mark Tilewitsch berichtete - geringe Mengen von Steckrüben als einzige Nahrung zu geben. Zum Schutz vor der Eiseskälte konnten sie sich - mit bloßen Händen und Löffeln - nur in Erdhöhlen eingraben. Sie wurden so ermordet und starben elend an Hunger, Kälte und Seuchen.
In seiner langen bewegenden Rede sprach er vor allem von dem unbändigen Hunger, der keinen anderen Gedanken aufkommen lassen wollte, von der beißenden Kälte, gegen die sich die Gefangenen auch durch die gegenseitige Körperwärme etwas schützten - und: von der Kraft der Solidarität. Kraftvoll stieß Mark Tilewitsch bei diesem Bericht die Faust in den Himmel und sagte: "Solidarität hieß auch länger zu überleben, wenn jemand zu einem ziellos Herumtaumelnden sagte: Komm in unser Loch!"
Viel ließe sich zu seinen Ausführungen sagen, der geringe Platz ermöglicht noch die Erwähnung, dass auf unserer Veranstaltung als Redner außer Mark Tilewitsch auch folgende Personen auftraten und viel Beachtung fanden: Rolf Keller (Mitarbeiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema "Sowjetische Kriegsgefangenenlager in Niedersachsen "), Paul Stern (ver.di-Vorstandsmitglied Celle), Dimitri Tukuser (Liberal-Jüdische Gemeinde Wolfsburg, Region Braunschweig) sowie Mechtild Hartung (Sprecherin VVN/BdA Niedersachsen).
Unangekündigt aber auf besonderen Wunsch sprachen auch Peter Fischer, Mitglied des Zentralrates der Juden Deutschlands und Elke von Meding (Vorsitzende der AG Bergen-Belsen). Sie berichtete über die Schul-Aktion "Namensziegel", mit der die Ermordeten vor der Vergessenheit bewahrt werden sollen.
Die Bläsergruppe der Kirchenkreiskantorei Wolfsburg gestaltete die Feier würdevoll mit ihren Musikbeiträgen und begleitete das gemeinsam gesungene "Lied der Moorsoldaten".
Unter den Anwesenden in Hörsten waren unter vielen anderem der neue Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Dr. Habbo Knoch sowie sein Vorgänger, Dr. Winfried Wiedemann.