Mitteilungsblatt der VVN/BdA Niedersachsen

Berichte zum Antikriegstag

In Celle:

Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen der 2. Weltkrieg mit seinen bekannten Folgen. In Erinnerung daran rufen vor allem die Gewerkschaften und andere fortschrittliche Organisationen zum Antikriegstag auf. So fanden sich am 1. September 2011 zum 72. Jahrestag des Kriegsbeginns in der KZ-Gedenkstätte in Bergen–Belsen einige Mitglieder der Linken und der VVN–BdA aus den Kreisen Celle und Soltau–Fallingbostel (neu Heidekreis) zusammen um zu gedenken und ein Gebinde nieder zu legen.

Birgit Meier

Aus Hannover: Beteiligung an gewerkschaftlichen Kundgebungen

Traditionell wird der 1. September von den Gewerkschaften an mehreren Gedenkorten in Hannover durch Veranstaltungen begangen. Unsere Kreisvereinigung beteiligte sich an der Veranstaltung der IG Metall am Mahnmal für die in den letzten Kriegstagen ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter am Maschsee-Nordufer und legte ein Gebinde nieder (s. Bild). Auch bei der Gedenkveranstaltung der DGB-Region Niedersachsen-Mitte war die Kreisvereinigung vertreten.

rwk


Mahnmal Ahlem:

Zeitzeugengespräch und Feierstunde

Mit dem Mahnmal für das ehemalige KZ Hannover-Ahlem ist die Kreisvereinigung Hannover in besonderer Weise verbunden. Unser verstorbenes Ehrenmitglied Kurt Baumgarte war Mitbegründer des Arbeitskreises „Bürger gestalten ein Mahnmal“. Ohne diese Initiative gäbe es heute den würdigen Ort nicht, an dem der Hunderten von Opfern gedacht werden kann, die dort beim Bau eines Asphaltstollens für die unterirdische Rüstungsproduktion bis kurz vor der Befreiung durch die US-Truppen zu Tode geschunden worden waren.

Die Heisterbergschule, eine Schule im Stadtteil, hat für dieses Mahnmal seit Jahren die Patenschaft übernommen. Im September veranstaltete sie in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis ein Zeitzeugengespräch mit Chaim Liss, einem der letzten Überlebenden dieses Lagers. Anlass war die Fertigstellung einer Informationstafel auf dem Gelände des Mahnmals im Auftrag der Landeshauptstadt.

Chaim Liss war nach dem Überfall der faschistischen Wehrmacht auf Polen im Alter von acht Jahren mit seiner Familie in das Ghetto von Lodz gekommen. Er arbeitet dort bald als Hilfskraft eines Elektrikers in einem Metallbetrieb. Mit der schrittweisen Auflösung des Ghettos verlor er alle Mitglieder seiner Familie bis auf seinen Vater. Mit diesem wurde er 1944 nach Auschwitz deportiert und, trotz seiner Jugend, als „Elektriker“ als arbeitsfähig selektiert. Es gelang ihm, sich in den Transport seines Vaters nach Hannover einzuschmuggeln. Dort leistete er Zwangsarbeit zunächst bei Varta, dann am Asphaltstollen in Ahlem. Sein Vater verstarb neben ihm auf der Pritsche. Chaim Liss erlebte die Befreiung durch US-Truppen, meldete sich zu einer Ausbildung als Techniker in Großbritannien und ging dann nach Palästina.

Vier Schülerinnen und Schüler der Schule hatten im Unterricht Fragen erarbeitet, die sie an diesem Vormittag Chaim Liss stellten. Er stand mit der ruhigen Distanz des Zeitzeugen Rede und Antwort. Gerade dadurch wurde die Veranstaltung zu einem eindringlichen Erlebnis!

Anschließend fand am Mahnmal die Feierstunde für die Enthüllung der Informationstafel statt. Ruth Gröne von Arbeitskreis „Bürger gestalten ein Mahnmal“ und Chaim Liss ergriffen das Wort. Bezirksbürgermeister Wilfried Gunkel übergab die Tafel der Öffentlichkeit.

rwk


36 neue Stolpersteine in Hannover verlegt

Am 6. und 7. Oktober wurden in Hannover in verschiedenen Stadteilen an 15 Orten insgesamt 36 neue Stolpersteine verlegt. Gedacht wurde dabei einer großen Zahl von Menschen jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft, die aus diesen Gründen durch die Faschisten verfolgt und ermordet worden waren. Stolpersteine wurden erstmals auch für drei Homosexuelle verlegt, die Opfer des Naziterrors geworden waren.

Herausragendes Ereignis war die Ehrung für Ada und Theodor Lessing an ihrem letzten Wohnsitz in Hannover-Anderten. Beide hatten sich um die Gründung der Volkshochschule Hannover verdient gemacht. Als Philosoph und Aufklärer und als Kritiker der gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit war Theodor Lessing bei allen Reaktionären verhasst. Ziel wütender Verfolgung wurde er besonders durch seine Kritik an der Persönlichkeit Paul Hindenburgs anlässlich der Wahl zum Reichspräsidenten 1924. 1933 gelang dem Ehepaar Lessing gerade noch die Flucht in das tschechische Marienbad, wo Theodor Lessing dann 1934 einem feigen Mordanschlag durch einen SA-Mann zum Opfer fiel.

Nach 1945 kehrte Ada Lessing zurück. Eine Funktion beim Wiederaufbau der Volkshochschule Hannover wurde ihr allerdings versagt! Erst vor wenigen Jahren entsann sich die Stadt ihrer Ehrenpflicht und benannte diese Institution nach den beiden Menschen, die sie gegründet haben.

Zu der Feierstunde war die Belegschaft der „Ada und Theodor Lessing Volkshochschule“ erschienen, ebenso eine Abordnung der „Ada-Lessing-Schule“, einer Hauptschule. Prof. Dr. Peter Gorny, Enkel von Ada und Theodor Lessing, berichtet über den Lebensweg und das Wirken seiner Großeltern.

Für unsere Kreisvereinigung von besonderer Bedeutung ist die Verlegung eines Stolpersteins für Walter Bitterlich. Als Kommunist und Antifaschist war er zwischen 1933 und 1944 im Widerstand und der illegalen Arbeit seiner Partei tätig, tatkräftig unterstützt durch seine Ehefrau Mimi. Bald war er dadurch ins Visier der Gestapo geraten. Verhaftung, Bedrohung und Hausdurchsuchung waren die Folge. Im November 1944 wurde er unter einem verleumderischen Vorwand verhaftet und über Neuengamme und Mittelbau-Dora nach Buchenwald verschleppt, wo er kurz vor der Befreiung kaum 46-jährig umkam. 22 Jahre blieb die Familie über seinen Tod im Ungewissen. Eine Entschädigung erhielt sie nie.

Mimi Bitterlich und ihre Kinder Ingeborg (Jahrgang 28) und Walter (Jahrgang 30) führten nach der Befreiung die politische Arbeit weiter. Sie waren beim Aufbau der KPD, der FDJ und natürlich auch der VVN aktiv. Ingeborg heiratete Werner Müller, den sie bei der Jugendarbeit kennen gelernt hatte. Mit Verschärfung des „Kalten Krieges“ wurden sie alle dann sehr bald Ziel polizeilicher und gerichtlicher Verfolgung. Walter jun. und Werner mussten lange Zeit im Gefängnis verbringen. Walter verstarb überraschend 1966 mit kaum 35 Jahren. Inge und Werner waren noch viele Jahre in der VVN/BdA und nach 1968 auch beim Aufbau der DKP aktiv.

Auf Initiative seiner Enkelin Tatjana Bitterlich erhielt Walter Bitterlich sen., dessen Grab unbekannt geblieben war, durch den Stolperstein vor seinem letzten Wohnhaus endlich einen Gedenkort. Unsere Kreisvereinigung verteilte einen biographischen Abriss über das Wirken und das Schicksal der Familie und legte Blumen nieder.

rwk


„Zusammenhalten – Zukunft gewinnen“

Das war das Motto der diesjährigen (35.) Interkulturellen Woche in Wolfsburg, an der sich die VVN/BdA zusammen mit 62 Organisationen und Vereine beteiligt hat.

Konkret hat die VVN/BdA zwei Vorträge mit Diskussion angeboten:

1. „Rechtsentwicklung in der Region“ von David Janzen, freier Mitarbeiter der „Arbeitsgemeinschaft Rechtsextremismus und Gewalt“ Wolfsburg/Braunschweig, gab einen Überblick über die Rechtsentwicklung in der Region Gifhorn-Wolfsburg-Braunschweig.

Besonderes Interesse fanden Fotos insbesondere bei den überraschten MitarbeiterInnen des Integrationsreferates der Stadt, die eine Wolfsburger städtische Personalrätin bei unterschiedlichen Gelegenheiten im Kreise von Rechten zeigten. Auch die Tatsache, dass der Chefkoch des angesehenen Parkhotels im NPD Unterbezirk Kassierer ist, war vielen Anwesenden noch nicht bekannt.

2. Carsten Hübner, IG Metall-Sekretär und VVN-Mitglied, hielt einen Vortrag zum Thema „Europa rechts außen“. Er stellte in seinem Vortrag rechte Parteien und Netzwerke in Europäischen Parlamenten dar und verglich sie miteinander. Als Fazit ist fest zu stellen: In fast allen europäischen Parlamenten außer in der BRD etablieren sich die Rechten bedrohlich, sie vernetzen sich europaweit und betreiben mit unterschiedlichen Akzentuierungen, wie wir wissen, demokratie-, fremden- und islamfeindliche, rassistische, antisemitische, national bestimmte Propaganda.

Auch bei der Abschlussveranstaltung war die VVN/BdA mit der Ausstellung „Neofaschismus in Niedersachsen“ (zusammen mit der IGM Wolfsburg) beteiligt sowie durch einen Infostand, an dem man die „Den Rechten die Zähne zeigen CD“ gewinnen konnte, wenn man ein Quiz zu Gedenkstätten in Wolfsburg richtig ausgefüllt hatte. Natürlich konnte man die Antworten auf einer Tafel finden, die mit Fotos und konzentrierten Informationen ausgestattet war.

Die Beteiligung an der Interkulturellen Woche entspricht dem antifaschistischen und antirassistischen Charakter unserer Organisation und hat viele Vorteile: Man arbeitet viele Wochen lang mit Organisationen und Vereinen zusammen, die alle bezüglich der Vorstellung zum Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund ‚anders ticken’. Der Ansatz ist durchaus nicht immer ein politischer, aber eben deswegen ist es wichtig, dass wir dort mit arbeiten. Schon bei der Vorstellungsrunde sage ich den Namen unserer Organisation langsam und verständlich, sage, von wem und warum sie gegründet wurde und betone, dass wir auf vielfältige Weise das Motto der diesjährigen Woche mit Inhalten füllen wollen: durch Aufklärung, Gespräche, Aktionen, Feste.

Beim konkreten Vorstellen der Vorhaben wird dann auch z.B. gefragt, warum wir im Programmheft (Stadtwerbung für die VVN) den Zusatz „Mitglieder von neofaschistischen Parteien, … erhalten keinen Zutritt“ haben. Das ist dann ein willkommener Anlass um zu erklären, dass man nur dann das Hausrecht beanspruchen kann, man kann etwas über die Taktik von Nazis bei Veranstaltungen erzählen wie Lichtschalter besetzen, Mikrofon herumgeben,… So machen wir uns bekannt als erfahrene AntifaschistInnen.

Mechthild Hartung