Mitteilungsblatt der VVN/BdA Niedersachsen

Gedenkzug erneut in Hannover

"Zug der Erinnerung" in erweiterter Form

Auch der zweite Aufenthalt des Zugs der Erinnerung in Hannover vom 8. bis 12. November war ein großer Erfolg. Rund 80 Schulklassen besuchten die Ausstellung.

In dem erweiterten Bereich "Schuld und Schulden" wurden dort an Beispielen die Einnahmen vorgerechnet, die der Reichsbahn durch die Transporte zuflossen und die von den Deportierten aufzubringen waren. Grundlage dafür war ein jüngst erstelltes Gutachten, das im Zug vorgestellt wurde. Der bisherige Umgang der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Bahn als Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn mit dieser Geschichte wird so noch einmal plastisch ins Bewusstsein gerufen.

Der letzte Teil der Ausstellung war wie immer örtlichen Initiativen vorbehalten. Auf mehreren Tafeln wurden hier Gedenkstätten in Hannover vorgestellt: Die Gedenkstätte Ahlem als Ort der wechselvollen Geschichte als Israelitische Gartenbauschule, Gestapo-Gefängnis und KZ; das Entbindungslager in Langenhagen-Godshorn, in dem rund 300 Säuglinge und Kleinkinder von Zwangsarbeiterinnen elend zugrunde gingen und der Bahnhof Fischerhof in Hannover-Linden, von dem aus von 1941 bis 1944 die Deportationszüge rollten.

Die Ausstellung wurde von Sebastian Wertmüller (DGB-Regionsvorsitzender) eröffnet. Er und nach ihm Hans-Rüdiger Minow vom Verein Zug der Erinnerung wiesen nachdrücklich auf die absolut ungenügende geschichtliche Aufarbeitung der Problematik der Deportationen und die Frage der Opferentschädigung durch die offiziellen Stellen hin. Danach richtete Salomon Finkelstein als überlebender Zeitzeuge ergreifende Worte an die versammelten etwa 150 Zuhörer.

Auch diesmal umrahmte ein umfangreiches Begleitprogramm den Aufenthalt. Auch im Rahmen dieses Programms war das Auftreten von Salomon Finkelstein ein herausragendes Ereignis. Finkelstein, Jahrgang 1922, berichtete in der Integrierten Gesamtschule Linden aus seinem Überleben im Ghetto von Lodz, in vielen Arbeitslagern, in Auschwitz, Mittelbau Dora, Ravensbrück und den dazwischen liegenden Todesmärschen.

rwk


"Nur ein Schrei nach Liebe?"

13. Antifaschistische Sozialkonferenz

Die nun schon traditionelle Konferenz, die alljährlich in Hannover anlässlich des Jahrestags der Befreiung von Auschwitz 1945 und in Erinnerung an die Machtübergabe an Adolf Hitler 1933 durchgeführt wird, wandte sich diesmal dem jugendlichen Neofaschismus zu, seinen Ursachen, Szenen und Konzepten.

In seinem einleitenden Vortrag gab Michael Weiss vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum e.V. Berlin (APABIZ) unter dem Titel "Des Nazis neue Kleider" einen Überblick über Erscheinungsbilder extrem rechter Jugendszenen. Er arbeitete heraus, dass es keine normierte rechte Szene mehr gibt, dass moderne Neonazis vielmehr erfolgreich versuchen, an verschiedene Jugendkulturen anzudocken, was sich zum Beispiel auch an der Übernahme von "linken" Gesten bei den Autonomen Nationalisten zeigt.

Aus einer geschlossenen Bewegung entwickle sich mehr und mehr ein vielfältiges Netzwerk. Mit dem schwindenden Zwang zur Normierung ändere sich auch die soziale Zusammensetzung, was sich zum Beispiel in einem steigenden Frauenanteil zeige.

Die Möglichkeiten antirassistischer Fanprojekte untersuchte eine Gruppe unter dem Titel "Tatort Stadion - Neonazis im Fußballstadion". Die Leitung hatte Aljoscha Langfort vom Arbeitskreis "96 Fans gegen Rassismus". Fazit im abschließenden Plenumsbericht: Die Prävention darf nicht erst da beginnen, wo für die Polizei Gewaltprävention beginnt.

Die "Grenzen und Perspektiven antirassistischer Pädagogik" sollten mit Professor Dr. Wolfram Stender von der Fachhochschule Hannover ausgelotet werden. Er schlug zunächst vor, den Versuch einer antirassistischen Pädagogik durch das Ziel einer "nichtrassistischen Praxis" zu ersetzen. Weiterhin setzte er sich dafür ein, den Blickwinkel von dem offenen Rassismus der extremen Rechten auf den "sekundären Rassismus" in der Mitte der Gesellschaft auszudehnen, dessen Vorurteile vorwiegend in kultureller Verbrämung transportiert würden. Er machte das an einer Filmsequenz deutlich, die er mit Zitaten des Bundesbankdirektors Thilo Sarrazin vergleichen ließ.

rwk


Geschafft: Kein KdF-Museum in Wolfsburg

Die Nachricht hatte im Sommer 2009 für helle Aufregung gesorgt: NPD-Vize Jürgen Rieger will in Wolfsburg in einem Möbelhaus ein "KdF-Museum", benannt nach der NS-Aktion "Kraft durch Freude" für verdiente Faschisten, einrichten. Der "Schulterschluss Wolfsburger Demokraten" von IG Metall, DGB, Kirchen, Parteien und Initiativen unter Einschluß der VVN/BdA mobilisierte dagegen.

Der breite Protest äußerte sich in einer großen Demonstration im September, regelmäßigen Mahnwachen am Samstag in der Wolfsburger Innenstadt und in einer von mehr als tausend Bürgerinnen und Bürgern unterzeichneten Zeitungs-Anzeige: "Wir sind Wolfsburg. Bunt statt Braun". Auch der plötzliche Tod des Nazi-Anwaltes Rieger, der die Immobilie bereits angemietet hatte, half mit, die Pläne zu stoppen. Nun hat die Stadt Wolfsburg die Immobilie zum "normalen Verkehrswert" erworben. Noch in diesem Jahr sollen statt der Nazis ein Sozialkaufhaus und ein "Zentrum für Demokratieförderung" einziehen. Das Zentrum soll von der renommierten Braunschweiger ARuG (Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt) betreut werden. Damit hat sich der Widerstand der Wolfsburger Bevölkerung echt gelohnt!

Alfred Hartung


Lob für Ausstellung zur Zwangsarbeit

Spurensuche in Südniedersachsen

Mitte Januar wurde in Göttingen die Ausstellung "Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit - Südniedersachsen 1939-1945" eröffnet.

Die unermüdliche Arbeit von Historikern und Kulturwissenschaftlern brachte die Fakten vor allem aus dem Stadt- und Landkreis Göttingen und Northeim zutage. Erst als sich die Tatsachen nicht mehr unter der Decke halten ließen, unterstützten zunächst die Stadt Göttingen und dann auch die angesprochenen Landkreise diese Tätigkeit auch finanziell.

Schon seit langem hatten die Geschichtswerkstätten Göttingen und Duderstadt gefordert, mit den von ihnen gesammelten Dokumenten Dauerausstellungen einzurichten. Vor allem in Duderstadt, wo noch eine Originalbaracke, in der Zwangsarbeiter/innen untergebracht waren, erhalten war. Sie könnte diese Ausstellung beherbergen. Die Kreisverwaltung wiegelte ab, bis endlich der spätere Eigentümer die Baracke abreißen wollte. Er war jedoch bereit, Teile der Gebäude einer Arbeitsbeschaffungsgesellschaft zu überlassen, die diese einlagerte.

Wie das bei einer Eröffnungsveranstaltung ist, hat der Erfolg immer viele Väter; die örtlichen Politiker hatten vergessen, wie zögerlich sie zunächst handelten.

Den wirklichen Ausstellungsmacher/innen ist ein großes Lob auszusprechen. Ebenso sind die Zwangsarbeiter/innen aus Polen, den Niederlanden, Italien, Ungarn und der ehemaligen Sowjetunion zu erwähnen, die durch Interviews zur Verdeutlichung beitrugen.

Betonen möchte ich jedoch, dass es auch eine lohnenswerte Aufgabe sein wird, politischen Druck für eine Dauerausstellung in der Region Südniedersachsen zu entwickeln.

Peter Dürrbeck


Betroffenheit im Landtag

Warnungen eines Überlebenden

Aus Anlass des 65. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee lud der Landtagspräsident zu einer Gedenkveranstaltung in den Landtag ein.

Im Zentrum standen die "Erinnerungen eines Überlebenden" von Salomon Finkelstein. In seiner unpathetischen Erzählweise berichtete er von seinen Leidenswegen von 1939 bis 1945, Zwangsarbeit, Ghettos, Auschwitz, Mittelbau Dora, und den Todesmärschen.

Eingeleitet hatte er seine Erinnerungen mit den sanft ironischen Worten, er sei nicht zu solch tiefen philosophischen Betrachtungen fähig. Zum Schluss erteilte er jedoch den versammelten Honoratioren und Offizieren noch eine Lektion in Geschichtsbewusstsein, indem er mit den Worten in die Runde blickte: "Ich sehe hier Wehrmacht!"

Danach erinnerte er mit wenigen Skizzen und einem ergreifenden Einzelschicksal an die verbrecherische Rolle der Wehrmacht bei den Judenverfolgungen und Massenmorden beim Überfall auf die Sowjetunion.

Reinhold Weismann-Kieser


Erzählen und Forschen in der Erinnerungswerkstatt

Kriegskinder trafen sich in Hameln

Erzählen und Forschen in der Erinnerungswerkstatt. Dieser Aufgabe stellten sich Frauen und Männer, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche erlebt haben. In regelmäßigen Abständen trafen sie sich über mehrere Monate, erinnerten sich, tauschten Erfahrungen aus und ließen sich auf Forschungsprozesse ein.

Wie lässt sich "große" Geschichte im Lebenslauf und in der Biografie von Kindern und der ihrer Familien wiederfinden? Wie bewältigten Kinder (und Erwachsene) das Verstecken vor dem Verfolger, Sterben, Hunger, auf der Flucht oder Flüchtling in der Fremde zu sein oder die Rückkehr des Vaters? Welche Ressourcen und soziale Hilfen zur Bewältigung standen zur Verfügung?

Welche "Lehren" haben die Befragten aus ihren Kindheits- und Jugenderfahrungen für sich selbst gezogen? Was haben sie an die kommende Generation weitergegeben bzw. was wollten sie weitergeben? Als Referent wurde Werner Siepmann gewonnen, er erzählt seine Lebensgeschichte nach 1945.