Mitteilungsblatt der VVN/BdA Niedersachsen

Hannover, 27. Januar 2017 – Ein denkwürdiger Tag

Letzte Zeitzeugen berichten

In drei herausragenden Veranstaltungen wurde in diesem Jahr der nun schon traditionelle Gedenktag für die Opfer des rassistischen Völkermordes der deutschen Faschisten begangen. So unter- schiedlich der Rahmen war, so eindrucksvoll war doch jeweils das Engagement der Beteiligten!

Die Gedenkstätte Ahlem ist die zentrale Gedenkstätte in der Region Hannover, in der am Ort der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule in Hannover Ahlem jedes Jahr eine Gedenkstunde stattfindet. In diesem Jahr übernahmen Schülerinnen und Schüler einer 12. Klasse der Sophienschule in Hannover die Moderation und boten drei eindrucksvolle musikalische Solobeiträge und eine szenische Lesung durch eine Vortragsgruppe. Ein Redebeitrag reflektierte die Beziehung dieser Generation zu den Opfern und letzten Überlebenden. Anwesend waren die beiden Überlebenden von Auschwitz, Salomon Finkelstein und Henry Korman, und unser Ehrenmitglied, die Zeitzeugin Ruth Gröne. Die Stellvertreterin des Regionspräsidenten, Doris Klawunde, und der Bürgermeister der Landeshauptstadt, Thomas Hermann, sprachen Grußworte. Danach wurden Kränze und Gebinde an der Mauer mit den Namen der Opfer niedergelegt.

Am Gedenkort Mahnmal für das KZ Ahlem – von Anfang an durch den Namen Kurt Baumgarte mit unserer Kreisvereinigung verbunden – findet das Gedenken in Form eines ökumenischen Gottesdienstes der beiden örtlichen Kirchengemeinden statt. Die Liberale Jüdische Gemeinde Hannover war durch Kantor Assaf Levitin vertreten. Wesentlich zu den Feiern tragen Schülerinnen und Schüler der benachbarten Heisterbergschule bei, die vor Jahren die Patenschaft für das Mahnmal übernommen hat. Sie trugen wieder mehrere gut ausgewählte Texte vor, die in der AG »Öffentlichkeitsarbeit« der Schule erarbeitet worden waren.

Der Förderverein der Gedenkstätte Ahlem beschloss diesen Tag mit einer Veranstaltung im Kulturzentrum Pavillon. Dabei kamen Überlebende aus Auschwitz auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Medien zu Wort: Salomon Finkelstein persönlich im Gespräch mit Martin Schulze, Journalist und Schauspieler, Esther Bejarano mit Filmaufzeichnungen aus einem Konzert in Hannover, Wanda Pranden und Else Baker in einem Film-Interview und Lily van Angeren-Franz in einem Kurzfilm. Produzentin der Filmbeiträge ist die Firma memo-media-production, die unser Mitglied Hans-Jürgen Hermel mit seinem Sohn Shoun betreibt. Die Schriftstellerin Corinna Lüdtke trug Texte zum Thema vor und berichtete über Henry Korman, der leider an dem Abend verhindert war. Die Schauspielerin Hanna Legatis führte durch das Programm.

R. Weismann-Kieser


Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee

Würdige Erinnerung in Wolfsburg

n Erinnerung an die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee legten am 27. Januar Vertreterinnen und Vertreter von Poli- tik und gesellschaftlichen Initiativen, darunter die VVN-BdA Wolfs- burg, am Mahnmal der Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus Kränze und Gebinde nieder.

Gestaltet wurde die Gedenkveranstaltung wieder von Schülerinnen und Schülern des 10. Jahrgangs der Integrierten Gesamtschule Westhagen. Die Jugendlichen erinnerten an die Zwangsarbeiterinnen, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die in die damalige KdF-Stadt verschleppt worden waren. Sie schlugen auch den Bogen zu heute: »In den Wahlerfolgen der AfD auch hier Wolfsburg zeigt sich, dass es heute Teile der Gesellschaft gibt, bei denen die Stimmungsmache gegen Fremde verfängt«, hieß es in einem Beitrag. »Sie würden die Flüchtlinge am liebsten weghaben. Aber Flüchtlinge, das sind in erster Linie Menschen, die ein Recht auf Würde haben.« Dagegen müssten alle Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen. Deswegen seien die Gedenkveranstaltungen richtig und wichtig.

Bereits am Vorabend war in einer szenischen Lesung an das Künstlerehepaar Felka Platek und Felix Nussbaum erinnert worden, beide wurden in Auschwitz ermordet. Etwa 300 Menschen waren zu- tiefst von der Lesung der beiden Künstler Eva-Maria Kurz und Gerd Grasse beeindruckt, die aus 40 fiktiven Tagebuchaufzeichnungen des Schriftstellers Christoph Heubner besteht. Die Lesung wurde begleitet von einer Präsentation Wolfsburger Initiativen, so auch der VVN-BdA, die über ihre Aktivitäten des Gedenkens informierten.

Alfred Hartung


Roma- und Sinti-Gedenken in Oldenburg

Antifaschisten müssen gemeinsam kämpfen!

Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, wird in Oldenburg in guter antifaschistischer Tradition der 74 Roma und Sinti gedacht, die von Oldenburg ins KZ Auschwitz deportiert wurden, aber natürlich auch aller anderen Opfer der Naziherrschaft.

Es gibt einen Gedenkstein gegenüber dem Oldenburger Polizeihauptrevier, denn auf dem damals noch nicht bebauten Platz wurden die Roma und Sinti zur Deportation zusammengetrieben. Leider war die Gedenkkundgebung in diesem Jahr schlechter besucht als sonst. Unter anderem sprach die Zweite Bürgermeisterin und legte einen Kranz nieder. Wir zwei VVN-BdA-Mitglieder legten weiße Rosen nieder, die wir in einen VVN-BdA-Wimpel wickelten. Christel Schwarz, Vorsitzender des Freundeskreises für Sinti und Roma e. V. in Oldenburg, dankte in seiner Rede ganz ausdrücklich der Roten Armee für ihre Befreiung! Er schlug dann den Bogen zur heutigen Situation und sagte, dass jetzt, wo die faschistoiden Reden und Taten in dieser Gesellschaft wieder zunehmen, viele verschiedene antifaschistische Spektren (darunter der Freundeskreis für Sinti und Roma) gemeinsam dagegen kämpfen müssten. Diesen Worten kann ich mich nur anschließen!

Ruth


20. Antifaschistische Sozialkonferenz am 4. Februar in Hannover

Herausforderung Rechtspopulismus

Der Beginn und die Einleitung des Endes der Nazibarbarei – mar- kiert durch die Machtübertragung 1933 an die Deutschen Faschis- ten und die Befreiung von Auschwitz 1945 durch die Rote Armee – als Gedenktage zwingen zur Auseinandersetzung mit dem, was sich in unserer Gesellschaft an Rassismus, Faschismus, Neofa- schismus und Rechtspopulismus erhalten hat und neu entwickelt!

Aus dieser Einsicht heraus hat ein wachsender und im Kern stabiler Kreis von gewerkschaftlichen und anderen antifaschistischen Organisationen wieder erfolgreich diese Konferenz in Hannover ausgerichtet. Als Forum, das Analysen mit Diskussionen über das praktische politische Vorgehen verbindet, hat sie sich über die Jahre eine überregionale Ausstrahlung erworben.

Das bestimmende Thema in diesem Jahr war der Aufstieg rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien und Bewegungen in Europa und in ihrem Gefolge die raschen Wahlerfolge der AfD in Deutschland. Analytisch ging es dabei um Struktur und Programmatik dieser Partei und der sie tragenden politischen Strömungen, besonders um ihre Verbindungen zur offen neofaschistischen Szene. In drei Arbeitsgruppen wurde dann praktisch erörtert, wie ihnen im parlamentarischen, alltäglichen und betrieblichen Umfeld entgegengetreten werden kann.

Eingeleitet wurde die Konferenz am Freitag, den 3. Februar, durch ein Referat von Ralf Beduhn (Kommission »Courage gegen rechts«). Er stellte den »marktförmigen Extremismus der AfD« unter der Überschrift »Reichenförderung statt Armutsbekämpfung« dar. Demnach sind Kernpunkte der AfD-Programmatik u. a. die allgemeine Denunziation des Umweltschutzes als Programm der »Deindustrialisierung« sowie ein steuerpolitisches »Stufenmodell«, das verschärfte öffentliche Armut und damit weiteren Sozialabbau zur Folge hätte. Weiterhin verfolge die AfD ein Programm des »schlanken Staats« mit entsprechenden Privatisierungen. Der Referent warnte davor, dass Versprechen auf »mehr soziale Gerechtigkeit«, wie sie derzeit von der Sozialdemokratie gegeben würden, verhängnisvolle Folgen hätten, wenn sie denn nicht eingelöst werden würden.

Am zweiten Tag referierte der Journalist Julian Feldman zu »Stand und Position der AfD und anderer rechter Parteien in Niedersachsen. Vernetzung zur Naziszene«. Ursprünglich »Stammland der NPD«, brachte es die Partei zuletzt insgesamt nur auf 17 Kommunalmandate in Nie- dersachsen. Andere Parteien (»Die Rechte« und »Der dritte Weg«) seien derzeit nur von lokaler Bedeutung, könnten aber die AfD »beerben«, falls sie scheitern sollte. In der AfD machte er zwei Hauptströmungen, den konservativen und den völkisch-nationalen Flügel, aus. In der Diskussion wurde jedoch darauf hingewiesen, dass noch die marktradikale und die christlichfundamentalistische Strömung zu unterscheiden seien.

Sehr erfrischend war das folgende Referat der sächsischen Landtagsabgeordneten, unserer Kameradin Kerstin Köditz. In ihrem Referat »Aus Wahlen etwas gelernt?« fragte sie nach dem Umgang der politischen Parteien und Medien im Umgang mit der AfD und anderen rechten Parteien im Vorfeld der kommenden Bundestagswahl. Sie schilderte anschaulich, wie die AfD-Fraktion in Sachsen nach dem Ausscheiden der NPD zunächst mit gemäßigtem Auftreten versuchte, sich parlamen- tarische Akzeptanz zu verschaffen, um sich dann nach und nach zu radikalisieren, gleichzeitig aber alle Ausgrenzungsversuche lautstark zu beklagen. Eine konsequente Ableh- nung ihrer Anträge werde dadurch schwer gemacht, dass sie geschickt versuche, sinnvolle Forderungen zu übernehmen, was dann auf Unverständnis und Proteste von Betroffenen führe. Sie rechnete vor, dass die bisher 142 Landtags- und Europa-Abgeordnetenmandate zuzüglich den kommunalen Mandaten 500 bezahlte Stellen geschaffen hätten. Damit wenige Themen zu besetzen, verschaffe ihnen maximale öffentliche Aufmerksamkeit. Dazu käme stete Präsenz zu allen gesellschaftlichen Anlässen.

Am Nachmittag wurde in drei Arbeitsgruppen gearbeitet:

Henriette Quade, MdL aus Sachsen-Anhalt, referierte zunächst über ihre Erfahrungen mit der AfD im dortigen Landtag: Eng mit dem rechten Rand verwoben, verfolge die Fraktion einen aggressiven Stil der persönlichen Auseinandersetzung mit permanenten Zwischenrufen, konstruktive Arbeit sei nicht erkennbar. Hauptthemen seien Islam, »Linksextremismus«, Flüchtlings- kosten, innere Sicherheit etc. Sie versuche, ein Katastrophenklima zu beschwören. Hier wie auch in anderen Parlamenten wurde die Frage aufgeworfen, ob eine gemeinsame Front der anderen »demokratischen« Fraktionen gegen die AfD möglich sei.

<>Samuel Singer (Netzwerk Demokratie und Courage e. V.) ging der Frage nach, wie im Alltag rassistischer Hetze begegnet werden kann. Durch die Arbeit in Rollenspielen wurde deutlich, dass manchmal schon eine einfache Gegenfrage genügt, um eine aggressive Position zu schwächen. Entschieden müsse allerdings auch werden, ob und wann eine Diskussion überhaupt sinnvoll sei.

Ingo Arlt (IG Metall Hannover) stellte mit zwei Betriebsräten und zwei weiteren Kollegen die Probleme am Arbeitsplatz dar. Deutlich wurde dabei, wie konkret der Druck von Rationalisierung, Prekarisierung und Leiharbeit zerstörend auf die kollegiale Solidarität wirkt. Daraus erklärt sich wohl auch, dass der Anteil der AfD-Wähler unter den organisierten Kollegen nicht geringer ist als unter den nichtorganisierten. Selbst Kollegen, die anderer Ansicht seien, wären oft nicht bereit, fremdenfeindlichen »Pausengesprächen« entgegenzutreten. Die Frage, warum so viele Kollegen (Verzeihung, es sind ja vorwiegend Männer ...) zu einer Partei neigen, deren Programm so offensichtlich ihren Interessen widerspricht, konnte nicht abschließend geklärt werden. Sie bediene offensichtlich einen emotionalen Protest, der mit reiner Aufklärung über Widersprüche zu diesem Programm nicht aufgefangen werden könne.

Insgesamt nahmen an der Konferenz rund 100 Menschen teil. Unsere Vereinigung war mit der Ausstellung »Neofaschismus in Niedersachsen« vertreten. Sie stieß erneut auf großes Interesse.

Reinhold Weismann-Kieser