Mitteilungsblatt der VVN/BdA Niedersachsen

Neue Broschüre der VVN-BdA Lüneburg erschienen

Manzkes Vergangenheitsbewältigung

Eine besondere Art deutscher »Erinnerungskultur« ist seit einiger Zeit im beschaulichen Lüneburg zu besichtigen: Einer der finanzkräftigsten und einflussreichsten Männer der Stadt ließ sich über seine Stiftung im öffentlichen Raum einen »Friedenspfad« installieren, der an 24 markanten Stellen der Innenstadt über Stelltafeln die Geschichte des jeweiligen Platzes interpretiert, ein Hingucker für Einheimische und vor allem Touristen – und ganz im Stile der »Vergangenheitsbewältigung« der 1960er Jahre.

Stiftungsgeber und Sponsor Eberhard Manzke, einer der größten Bauunternehmer am Ort, zuweilen zusätzlich aktiv als Präsident der IHK Lüneburg-Wolfsburg, Chef des Arbeitgeberverbandes und Mitglied der CDU im Rat der Stadt (dort logischerweise im Bauausschuss tätig), spendete einige steuerabzugsberechtigte zehntausend Euro, um die (überwiegend NS-)Geschichte des Ortes in seinem Sinne öffentlich und permanent zu deuten und einem breiten Publikum kundzutun. Sein Hauptanliegen: Er möchte in der ehemaligen Gau-Hauptstadt den Zustand einer »gespaltenen Erinnerung« der einst »gegnerischen politischen und gesellschaftlichen Gruppen überwinden und zu Toleranz, gegenseitigem Verständnis und gesellschaftlicher Integration beitragen« (aus dem Prospekt »Friedenspfad«).

Das Bemühen, nationalsozialistischen Verbrechen, Militarismus und Inhumanität mit »Toleranz und Verständnis« gegenüberzutreten, ist gelungen: Das Denkmal für Lüne- burgs Dragoner-Militäreinheit, die zu früheren Zeiten für ihre Mordtaten als »Helden von Deutsch-Südwest« gefeiert wurden, ein Monumentalbau von Pferd und Militärreiter von über sechs Metern Höhe, zeigt nach Deutung des Wirtschaftsbosses: »Ross und Reiter in natürlicher Haltung traben ... nicht überzogen pathetisch und heroisch«. 1939 freilich, als dieses Nazi-Denkmal eingeweiht wurde, war die Deutung noch eine andere, als unter den »hohen Fahnenmasten mit den leuchtenden Bannern des Dritten Reiches ... ein Ehrensturm der SA, eine Abordnung der Hitlerjugend und sämtliche Lüneburger Kameradschaften des NS-Reichskriegerbundes (sich) die Ehre der Teilnahme an dem Weiheakt gaben«, wie die örtliche Presse seinerzeit berichtete. Und Generalleutnant von Bodelschwingh pries in seiner »Weiherede« »die Größe des Reiches« sowie den Führer, »der uns ... heißt, als furchtlose Soldaten hindurchzuschreiten durch die erregte Umwelt, zu spotten ihres blöden Getönes von Ost und West und Übersee ... bereit, uns nach Ostland zu tragen« wie das Monument des Dragoner-Reiters »der, nicht achtend der feindlichen Geschosse, mutig und ruhig reitet seines Weges, seinem Ziel zu, getreu seinem Auftrag«.

Nach Ansicht der Geschichtsinterpreten in ähnlich »friedvoller Absicht«, dafür aber mit hohen »Verlusten« waren seinerzeit die weiteren Militäreinheiten Lüneburgs 39-45 unterwegs, deren Kameradschaften sich auf Gedenksteinen und Bronzemonumenten (dabei ein erstklassiger Breker-Verschnitt) nach getaner Arbeit ihre öffentliche Darstellungen im Stadtbild schufen. Die Kapelle der größten Kirche des Ortes, wo zwei begüterte Familien es sich leisten konnten, zum Andenken an ihre 14-18 und 39-45 »gefallenen Söhne« je ein Fenstermosaik gestalten zu lassen, wird von den Neuinterpreten als »Gedenkstätte für die Opfer der beiden Weltkriege« vorgestellt. Der Soldatentod war deutsch. Aus der Volksgemeinschaft wird eine Opfergemeinschaft. In ähnlicher Form wird ein »Mahnmal für die Kriegsgefangenen« gedeutet, ebenso ein »Gedenkstein für den Eisernen Vorhang«, denn schließlich hatten die Volksgenossen nach 1945 besonders zu leiden.

Der Gaubefehlsstand der NSDAP wird flugs zu einem »Ort des Gedenkens« umgewidmet und eine Bronzefigur, von ihrem Künstler bei ihrer Einweihung in Stuttgart noch »Erinnerung an Ostpreußen« genannt als Reminiszenz an die vormalige Wirkungsgegend des Modellierers, wird nun, nachdem sie vor das Lüneburger Ostpreußische Landesmuseum platziert wurde, im Auftrage des Bauunternehmers als »Mahnmal der Flucht und Vertreibung« dargeboten.

Nazis gab es in der Gauhauptstadt Lüneburg nicht, lediglich die Gestapo, Helfershelfer aus dem Bürgertum auch nicht und einen NS-Widerstand lediglich aus dem Kreis des 20. Juli 1944.

Der Kulturausschuss und Rat der Stadt (eine Koalition aus SPD und Die Grünen) hatte keine Probleme mit dieser Neuinterpretation und Darstellung der NS-Stadtgeschichte im öffentlichen Raum, winkte den Friedenspfad gemeinsam mit den Konservativen durch die Instanzen und erschien zahlreich mit weiterer Lokalprominenz beim Bauunternehmer bei der Einweihung dieses Werkes nicht etwa an einem 27. Januar oder 8. Mai, sondern an einem Jahrestag mit einschlägiger Symbolik, am 23. August 2014. Diese ausdrückliche Bezugnahme auf den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag (»HitlerStalin-Pakt«), von Giordano als »Verleugnungsarbeit« beschrieben, als kollektive Affekte der Schuldabwehr der Deutschen nach dem Prinzip der Aufrechnung, der Kompensation, begründeten die Geschichtsdeuter mit den Worten: »Niemand will begangene Verbrechen gegeneinander aufrechnen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir ziehen nichts von den unfassbaren Grauen des Holocaust ab, ... sondern wir addieren das Böse stalinistischer ... Verbrechen dazu, die darunter noch nicht begriffen sind.« »Vergangenheitsbewältigung« der 1960er-Jahre eben, neu aufgelegt und den aktuellen politischen Bedürfnissen angepasst.

Eine kurze Darstellung der Firmengeschichte des Sponsors und eine ausführliche Kritik dieses Friedenspfades wurde von der Lüneburger VVN-BdA in einer Broschüre veröffentlicht und kann zum Preis von 5,00 Euro bestellt werden unter: vvn-bda-lg@web.de.

Peter Asmussen


Intensive freundschaftliche Gespräche mit französischen Antifaschisten in Braunschweig

Delegation aus Dieppe gedenkt der Rieseberg-Opfer

Nur zwei Tage lang waren die drei Kameraden Richard Flamein, Gilbert David und Jacques Halingre von den Organisationen AMFD (Amis de la Fondation pour la Mémoire de la Déportation) und ANACR [Association Nationale des Anciens Combattants et Ami(e)s de la Résistance] aus Dieppe diesmal in Braunschweig, um wie jedes Jahr mit uns am 4. Juli der 1933 in Rieseberg ermordeten elf Gewerkschafter zu gedenken.

Richard, Vorsitzender der AMFD Dieppe und Leiter der Delegation, ist gerade Gastprofessor an einer kalifornischen Universität und hatte daher nur begrenzt Zeit, aber diese wurde mit vielen Gesprächen und der Teilnahme an der Gedenkveranstaltung am 4. Juli intensiv genutzt.

Sie begann traditionell mit der Kranzniederlegung am Ehrenmal für den ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Heinrich Jasper, der noch kurz vor der Befreiung des KZ Bergen-Belsen gestorben war. Anschließend ging es zum Hauptfriedhof an der Helmstedter Straße, wo die VVN-BdA schon temporäre Gedenktafeln für weitere NS-Opfer wie Minna Faßhauer und Adolf Fuhst, an die sonst nirgendwo in Braunschweig gedacht wird, aufgestellt hatte. Am Denkmal für die elf Rieseberg-Opfer legte auch unsere französische Delegation einen Kranz nieder. Im Gegensatz zu früher, wo die Kränze immer ohne Reden und ohne würdiges Gedenken fast schon im Eiltempo »abgeworfen« wurden (so unser Eindruck), erinnerten in diesem Jahr erstmals zwei junge Gewerkschaftsmitglieder in kurzen Redebeiträgen an die Opfer und sprachen über ihre historische Verantwortung. Danach fuhren die Busse an den historischen Ort des Verbrechens, den Pappelhof in Rieseberg bei Königslutter. Der abgelegene Hof war bis Mai 1933 in Gewerkschaftsbesitz und wegen seiner Abgeschiedenheit als Ort für Folter und Mord an den elf Opfern ausgewählt worden (s. auch de.wikipedia.org/wiki/Rieseberg-Morde).

Nach einem letzten Abend, an dem wir uns mit unseren französischen Freunden über die Ereignisse des Tages sowie die aktuellen politischen Entwicklungen in Frankreich, Deutschland und Europa austauschten, ging es für die drei Kameraden am Dienstagmorgen wieder zurück nach Frankreich. Der nächste Besuch von uns zur Feier des 8. Mai 2017 in Dieppe ist schon fest eingeplant.

Stefan Hölzer


Bad Nenndorf 2016 einmal anders:

Widerstand trägt Früchte!

Der erste Sonnabend im August war anders: keine Polizeiabsper- rungen und Straßenkontrollen, kein schweres Gerät wie in den neun Jahren zuvor – nur wenig Polizei in leichter Montur. Die Nazis haben ihren perfiden »Trauermarsch« zum Wincklerbad, das die britische Besatzungsmacht in den ersten Nachkriegsjahren als Verhörzentrum genutzt hatte, bis auf weiteres abgesagt.

Kaum einer glaubt hier noch, dass sie dazu erneut mobilisieren könnten. Der Hohn und Spott, die Stimmung auf der Partymeile in den Lokalen entlang ihrer »Marschroute«, organisiert durch die Bürgerinitiative »Bad Nenndorf ist bunt«, wird sie von Jahr zu Jahr mehr frustriert haben. Man darf auch nicht die beharrlichen und einfallsreichen Blockademanöver von Antifaschisten der Region vergessen, die ihnen regelmäßig mühevolle Umwege auferlegten – trotz des massiven Schutzes ihres »Demonstrationsrechts« durch die Polizei!

Ein Grund also für die Bürgerinitiative, nach Bad Nenndorf einzuladen, zwar nicht zum unmittelbaren Widerstand, wohl aber zur Erinnerung an die Ereignisse der letzten Jahre und – nicht zuletzt – zum unbeschwerten Feiern! Nach dem ökumenischen Gottesdienst im Kurpark mit immerhin 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gab es die Auftaktkundgebung am Gedenkstein für die ermordeten Jüdinnen und Juden. Sie wurde musikalisch eingeleitet und begleitet von dem bewährten Duo »Kopf&Hut« mit unserem Kameraden Hartmut. Wichtige Erkenntnis in allen Beiträgen war, dass die Freude über den heutigen Erfolg nicht vergessen machen darf, dass der braune Ungeist in den Köpfen fortlebt und jederzeit – wenn nicht hier, so doch andernorts – wieder aufleben wird. Besonders erfreulich war, dass Steffen Holz vom DGB – langjähriger Mitorganisator des Widerstands – und Ingo Arlt von der IG Metall auch für die Zukunft die Entschlossenheit der Gewerkschaften zur Fortführung der Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut auch in der eigenen Mitgliedschaft versicherten.

Sigrid Bade vom örtlichen VfL, der die Initiative wohl die Mitwirkung dieses Sportvereins verdankt, und ihre Mitstreiterin Gitta Mathes gaben mit ihrem Beitrag »Widerstand trägt Früchte« der Kundgebung eine besonders optimistische Note. Gitta Matthes erzählte dann die Geschichte des kleinen Apfelbäumchens, das – von der Initiative neben dem Gedenkstein am Kundgebungsort gepflanzt – in diesem Jahr zum ersten Mal Früchte trägt. Es sind Korbiniansäpfel, so benannt zu Ehren des widerständigen Pfarrers und Obstzüchters Korbinian Aigner. Er züchtete im KZ Dachau drei Sorten: KZ 1, 2 und 3. Nur KZ 3 ist erhalten geblieben, eben der Korbiniansapfel. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden gebeten, auf großen Tafeln mit Bildern der Äpfel zu unterschreiben. Dann ging ein fröhlicher Zug hinter dem großen Transparent der Initiative ungestört und fröhlich zum Wincklerbad. Nach einer Abschlusskundgebung an diesem denkwürdigen Ort war Partytime.

rwk