Mitteilungsblatt der VVN/BdA Niedersachsen
Wie gelingt die Gestaltung zum Denk-Ort?
50. bundesweites Gedenkstättenseminar in Bremen
Wie ein brutaler Paukenschlag steht am Ufer der Weser ein bedrohlicher, gigantomanischer Bunker, aus dessen Öffnung riesige U-Boote ausgespieen werden sollten - alle 56 Stunden eins. Entsprechend dem Größenwahn der verblendeten Nazis wollten sie noch 1943 das Ruder herum reißen und den Krieg u.a. mit Hilfe von im Bunker gebauten U-Booten gewinnen. Dieser Bunker "Valentin" in Bremen stand im Mittelpunkt des Interesses des 50. bundesweiten Gedenkstättenseminars.
Es wurde von der Berliner Stiftung Topografie des Terrors und der Bundeszentrale für politische Bildung zusammen mit der Bremer Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (Celle) veranstaltet. Die Veranstaltung schloss an das Gedenkstättenseminar in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora im Frühjahr 2008 an. In unterirdischen Produktionsanlagen mussten auch dort KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen unter anderem die V2-Rakete montieren. "Am Bunker Valentin lassen sich wie an keinem anderen Großprojekt der Nazis alle vom Regime eingesetzten Methoden des Einsatzes von Zwangsarbeit studieren", hieß es in der Einladungsschrift.
Einmalig war das Vorhaben der Nazis in vielerlei Hinsicht: Von Juli 1943 bis April 1945 mussten insgesamt 12 000 Menschen unter schwersten Bedingungen in Sklavenarbeit und unter Hochdruck diesen mit einem Blick nicht erfassbaren Zement-Riesenbau aus dem Boden stampfen: KZ-Häftlinge, sowjetische Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter, italienische Militärinternierte und Insassen eines "Arbeitserziehungslagers" der Bremer Gestapo. Ein weiteres der insgesamt 200 AEL existierte in den Hermann-Göring-Werken Salzgitter. Etwa 2000 Menschen starben bei dieser Zwangsarbeit, 1200 Opfer sind namentlich bekannt.
Auf dem umfangreichen Filmmaterial (102 Min.) sieht man Zementsäcke und Eisenträger Schleppende, barfüßig. Das gesamte Gelände umfasst etwa 10 km² - unterirdische Tank- und Vorratslager, ein Öllager für die Marine, Zwangsarbeiterlager, Wohnbarakken für Nazis, das Arbeitserziehungslager und die verbunkerte Werft selbst, von den Nazis mit dem Tarnnamen "Bunker Valentin" bezeichnet. Einige Tausend Häftlinge waren in einem noch leeren Treibstoffbunker mit einem Durchmesser von 50 Metern untergebracht, in den sie über eine Holzleiter einsteigen mussten. Eine riesige Abdeckung war der einzige Schutz vor Regen, Schnee und Kälte. Die Bewachung der Häftlinge erfolgte zum größten Teil durch Marinesoldaten, Anfang 1945 waren nur noch elf SS-Schergen anwesend. Die barbarische Behandlung der Häftlinge (zwölf Stunden Sklavenarbeit, lange Wege zu Baracken- und Treibstoffbunker-Unterbringung, kein Arbeitsschutz) kombiniert mit modernen Produktionsabläufen (Fließbandarbeit mit 13 Taktstationen war geplant) charakterisierte die Situation in Bremen/Farge.
Die neuere Forschung befasst sich mit dem Anteil der "Organisation Todt" bei der Rekrutierung von Zwangsarbeitern, der Wifo-Gesellschaft (zu IG Farben gehörig), welche die Treibstoffversorgung sichern sollte, und mit der Beteiligung der Marine an den Naziverbrechen.
Eine Besichtigung des Bunkers ist nicht ohne weiteres möglich, denn er wird noch - bis 2010 - von der Bundesmarine als Materialdepot genutzt. Danach soll er nach dem Willen des Bundes verkauft werden (er kostet jährlich 700.000 Euro Unterhalt).
Dagegen stehen die Bemühungen der Historiker, der recherchierenden Menschen vor Ort, der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gedenkstättentagung. Sie sind sich einig darin, dass diese Nazi-Hinterlassenschaft unbedingt Denk-Ort werden muss. Der Leiter der Gedenkstätte Neuengamme, Dr. Detlef Garbe, hat, ausgehend von seinen reichhaltigen Erfahrungen, die zehn wichtigsten, jetzt notwendigen Schritte zusammengestellt, die Voraussetzung sind für die langfristige Gestaltung des Ortes zu einem Erinnerungsort an die 12.000 Menschen, die hier versklavt wurden. Seine Überlegungen umfassen einen Gestaltungswettbewerb, die Einstellung von Personal bis zur Aktivierung von Fördermitteln eine ganze Palette notwendiger Voraussetzungen.
Mit Skepsis darf die Aussage betrachtet werden, die Gedenkstättenarbeit sei nun aus ihrem Randdasein in der Mitte der Gesellschaft angekommen, nachdem sich der Staat voll engagiere. Die Realisierung des Denk-Ortes Bremen/Farge wird es beweisen oder widerlegen.
Gräber von Zwangsarbeitern gepflegt
3. Mitmachtag in Peine
Schon zum dritten Mal fand am 20. September in Peine ein "Mitmachtag" statt. Daran beteiligte sich auch das Peiner "Bündnis für Zivilcourage und Toleranz", maßgeblich getragen von der VVN-BdA und den Gewerkschaften, mit der Aktion "Gedenken pflegen".
"Wir möchten die Gedenkstätten der Opfer des Faschismus (ehemalige Synagoge, Gräber von Zwangsarbeitern auf dem Gunzelinfriedhof, Ehrenmal im Herzberg, Grabfelder der Zwangsarbeiter auf dem katholischen Friedhof) pflegen", kündigte das Bündnis an. So trafen sich etwa zehn Jugendliche und Erwachsene, "bewaffnet" mit Hacke, Harke und Rechen, um die besagten Orte von Unkraut und Laub zu befreien. Dazu wurden Informationen gegeben, die besonders für die jungen Menschen von Interesse waren.
Am Nachmittag trafen sich alle, die an diesem "Mitmach-Tag" im Einsatz waren, zu einem gemütlichen Beisammensein.
Nazis einst und jetzt
Göttingen gedenkt der Opfer
Zum zwölften Mal findet diese Veranstaltungsreihe in Göttingen statt. Seit 1997 hat sich ein Bündnis zusammengefunden, das gemeinsame Veranstaltungen durchführt, ein Faltblatt listet sie auf. Geplant wird die Veranstaltungsreihe vom 9. November 2008 bis 30. Januar 2009.
Zu diesem Bündnis gehören der DGB, die Freie Altenarbeit e. V., die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, die KZ-Gedenkstätte Moringen, die Geschichtswerkstatt Göttingen e. V., die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Jüdische Gemeinde Göttingen, Jüdisches Lehrhaus, OLAFA (Offene Linke-Alle für Alles) und die VVN-BdA. Zeitweise haben auch die Zeugen Jehovas Göttingen mitgearbeitet.
Im Zeitraum von November bis Januar werden über 20 Veranstaltungen stattfinden. Hauptveranstaltung ist am 27. Januar ein Zeitzeugengespräch mit Bert Woudstra, einem jüdischen Niederländer aus Enschede, der die Besetzung nur überlebte, weil Antifaschisten ihn versteckten.
Ein weiterer Höhepunkt ist die Kranzniederlegung an der ehemaligen Jüdischen Synagoge, die von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gemeinsam mit einem Göttinger Gymnasium gestaltet wird. Die VVN-BdA wird eine Veranstaltung gemeinsam mit der DGB-Jugend zu Andreas Speits neuestem Buch: "Nazis in Nadelstreifen" durchführen und eine weitere gemeinsam mit Amnesty International über die Professorenmorde von Lwow/Lemberg.
Die Veranstaltungsreihe wird vom Fachdienst Kultur der Stadt unterstützt.
Naziwallfahrtsort Bad Nenndorf?
Aufmarsch gegen die "Besatzung Deutschlands"
Am 2. August führten rund 400 Neu-Faschisten unter dem Schutz von 1000 Polizisten einen Aufmarsch in Bad Nenndorf durch, um die nach dem zweiten Weltkrieg von den Briten im Winklerbad inhaftierten Nazis, Kriegsverbrecher und Völkermörder zu betrauern, die dort in einigen Fällen von ihren Bewachern geschlagen worden sind.
Schon bei der Mobilisierung waren die Nazis "kreativ". So haben sie ein Plakat und einen Aufkleber entworfen, auf dem im Hintergrund abgemagerte Menschen zu sehen sind. Bei den auf den Naziaufklebern und Plakaten abgebildeten ausgehungerten Leuten handelt es sich jedoch nicht um in Bad Nenndorf inhaftierte Nazikriegsverbrecher, sondern um Menschen, die Auschwitz überlebt hatten und nach der Befreiung des KZs photographiert wurden.
Ihre Bilder wurden vermutlich aus Büchern über Auschwitz entwendet. Im Vordergrund sieht man zwei Arme, die an Handfesseln hängen. Darüber steht geschrieben: "Gefangen - Gefoltert - Gemordet! Damals wie heute - Besatzer raus! Trauermarsch Bad Nenndorf." Dass die im "War Crime Head Quarter" in Bad Nenndorf inhaftierten Schwerstverbrecher von ihren Bewachern anfangs nicht gut behandelt wurden, hatten die Briten selbst erkannt und die Haftbedingungen verbessert. Eine Maßnahme, die den Verantwortlichen der Nazi-Konzentrationslager nie in den Sinn gekommen wäre!
Der vermutlich ranghöchste Nazikriegsverbrecher, der im Winklerbad inhaftiert war, ist der in Duisburg geborene Oswald Pohl. Er war der hauptsächlich Verantwortliche für die Vernichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern.
Wohl auch aus Sorge um das Ansehen und die Einnahmen des malerisch am Deister gelegenen Kurortes und Staatsbades hatte ein bürgerliches Bündnis am 1. August um 17 Uhr eine Kundgebung gegen den Naziaufmarsch durchgeführt. Am Winklerbad wurde wie auch schon im Vorjahr ein schon von weitem sichtbares Transparent mit der Aufschrift: "Gedenken? Geht denken!" angebracht.
Tags darauf um 10 Uhr begann dann die Demonstration gegen die Faschisten. Sie führte vom Bahnhof zum Gedenkstein für die aus Bad Nenndorf deportierten jüdischen Mitbürger. Danach wollte die Demo wieder zurück zum Bahnhof, wo sich mittags die Nazis versammelten. Unterwegs wurden die Demonstranten von der Polizei gestoppt, weil sie die Auflagen plötzlich geändert hatte. Aus dem Lautsprecherwagen teilte die Demoleitung die Begründung mit: Die Polizei könne wegen der zahlreich angereisten und gewaltbereiten Neonazis nicht für die Sicherheit der friedlichen Gegendemonstranten garantieren. Also ging es wieder zurück zum Gedenkstein, der sich auch in der Nähe des Winklerbades befindet. Während der Demo wurden einige Reden gehalten, die den Nazis lautstark zeigten, was wir von ihnen halten.
Nach dem Verbot des Heß-Aufmarsches in Wunsiedel droht das verschlafene Bad Nenndorf der neue Wallfahrtsort der Nazi-Bande zu werden.
Zeitzeugen aus der Zeit nach 1945
Jahrestreffen in der Gedenkstätte KZ-Moringen
Das diesjährige Treffen in der Gedenkstätte Moringen fand vom 3. bis 5. Oktober unter Beteiligung ehemaliger Häftlinge des Jugend-KZ Moringen statt. Von den noch überlebenden Kameradinnen aus dem Frauen-KZ Moringen konnte leider keine mehr die Strapazen einer Reise auf sich nehmen.
Es war in der Vergangenheit schwierig, überhaupt in Moringen eine Gedenkstätte einzurichten. In diesem Jahr fand das Gedenktreffen in den Räumen des Landeskrankenhauses Moringen, also in dem ehemaligen KZ, statt. Die Leitung des Landeskrankenhauses stellt sich der Aufarbeitung seiner Vergangenheit und ist bereit, die Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte zu intensivieren.
Das ist insofern erfreulich, da die bisherigen Räume der Gedenkstätte nicht ausreichen, um eine kontinuierliche Arbeit mit Schulklassen zu gewährleisten. Ebenfalls braucht die Gedenkstätte mehr Platz, um eine ständige Ausstellung zu gestalten. Bei der zeitgleich stattfindenden Jahreshauptversammlung des Vereins Gedenkstätte KZ-Moringen wurden Robert Vogt und Peter Dürrbeck wieder in den Beirat gewählt.
Es ist ebenfalls schon Tradition, dass jemand von der VVN/BdA bei der Kranzniederlegung an den Gräbern der umgekommenen Jugendlichen aus dem Jugend-KZ spricht. Viele Jahre hat die verstorbene Gertrud Müller aus Stuttgart diese Aufgabe wahrgenommen. In den letzten Jahren haben Justine Wazansky-Krack, Nürnberg, oder Peter Dürrbeck, Göttingen, dort für unsere Vereinigung gesprochen. In diesem Jahr wurde bei der Totenehrung der Skandal benannt, dass VVN-BdA-Bundessprecher Ulrich Sander vor Gericht gestellt werden soll, weil er die Verbrechen der NS-Gebirgsjäger anprangerte und forderte, dass deren von der Bundeswehr unterstützte Treffen nicht mehr stattfinden. Für den Gedenkstättenverein KZ-Moringen gibt es umso mehr Grund, sich damit auseinander zu setzen, da viele Jugendliche aus Slowenien kamen, einem Gebiet, in dem die Gebirgsjäger wüteten.